Jenseits der Dyade: Die Effekte von Datenaustausch in Unternehmensnetzwerken auf den Privacy Calculus
Der Lehrstuhl für Marketing und Innovation (Prof. Dr. Jan H. Schumann) und der Lehrstuhl für Wirtschaftsinformatik mit Schwerpunkt Betriebliche Informationssysteme (Prof. Dr. Thomas Widjaja) forschen gemeinsam an einem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekt. Unter dem Projektnamen „Jenseits der Dyade: Die Effekte von Datenaustausch in Unternehmensnetzwerken auf den Privacy Calculus“ befassen sie sich mit den Effekten von Datenaustausch in Unternehmensnetzwerken auf die Entscheidung der Datenfreigabe von Konsumenten.
Aktuelle Technologien ermöglichen die Erfassung, Speicherung und Analyse von Konsumentendaten in bislang ungekanntem Ausmaß. Dadurch ermöglichen sie neue Geschäftsmodelle, die über die Konsumenten-Unternehmens-Dyade hinausgehen und auf der Sammlung und dem Handel von Konsumentendaten in Firmennetzwerken basieren. Beispielsweise verwendet der Musik-Streaming-Dienst Spotify Nutzerdaten in einem Firmennetzwerk von Werbetreibenden, Konzertanbietern und weiteren Drittfirmen. Aber auch traditionelle Branchen, wie die Automobil- und die Luftfahrtindustrie sowie der Einzelhandel entwickeln gemeinsam mit Technologieunternehmen vermehrt Geschäftsmodelle, die auf dem Austausch und der Monetarisierung von Konsumentendaten basieren.
Die Forscher dieses Projektes bezeichnen solche Praktiken als „business network data exchange“ (BNDE)
Ein BNDE ist ein Netzwerk an Unternehmen, das von der Datenfreigabe durch den Konsumenten profitiert. Während sich die bisherige Forschung auf die dyadische Sichtweise, die Datenfreigabe des Konsumenten gegenüber einem einzigen Unternehmen (A) fokussiert, betrachtet die BNDE-Forschung die Weitergabe der Verbraucherdaten von Unternehmen A an weitere Unternehmen (B,C,D,E,…).
Bisherige Forschungsarbeiten zum „Privacy Calculus“ können das Phänomen nicht ausreichend erklären
Auf Grundlage der Annahme einer dyadischen Sichtweise erklären bisherige Forschungsarbeiten die Entscheidungen über die Datenpreisgabe von Konsumenten größtenteils mit dem „Privacy Calculus“, welcher von einer rationalen Risiko-Nutzen-Abwägung ausgeht. Ein ausschließlich rationaler Ansatz reicht im BNDE-Kontext jedoch nicht aus, da die Konsumenten mit einem hohen Grad an Unsicherheit konfrontiert sind, wenn die Daten an ein ganzes Netzwerk unbekannter Firmen preisgegeben werden. Aufgrund dieser Unsicherheit können sich Konsumenten im BNDE-Kontext nicht nur auf eine rein rationale, kognitive Kosten-Nutzen-Abwägung verlassen. „Spontane affektive Reaktionen auf solche Geschäftsmodelle, oder - einfach ausgedrückt - das Bauchgefühl, dürfte bei der Entscheidungsfindung also eine große Rolle spielen“, erklärt Jan H. Schumann, Inhaber des Lehrstuhls für Betriebswirtschaftslehre mit Schwerpunkt Marketing und Innovation an der Universität Passau. So stößt bei der Erklärung von Konsumentenentscheidungen über die Datenpreisgabe an ein Firmennetzwerk die etablierte Privacy-Calculus-Theorie an ihre Grenzen und muss von der dyadischen Perspektive zu einer Netzwerkperspektive erweitert werden. „Wir wollen mit unserer Forschung besser verstehen, wie der Entscheidungsprozess genau abläuft, was ihn treibt und wie solche Geschäftsmodelle gestaltet und kommuniziert werden müssen, damit Konsumentinnen und Konsumenten bessere Entscheidungen treffen können und zudem Firmen helfen, ihre BNDE-Netzwerke so zu gestalten, dass sie bei der Kundschaft auf Akzeptanz stoßen,“ – ergänzt Thomas Widjaja, Inhaber des Lehrstuhls für Wirtschaftsinformatik mit Schwerpunkt Betriebliche Informationssysteme.
Mit ihrem Forschungsprojekt verfolgen die beiden Lehrstühle folgende Ziele:
- Die entscheidende Bedeutung von affektiven (low-effort) Prozessen für die Datenfreigabeentscheidungen von Konsumenten in BNDE-Kontexten soll aufgezeigt werden.
- Es soll untersucht werden, welchen Einfluss die Charakteristika des Austauschprozesses zwischen Kunde und Firmennetzwerk auf das affektive und kognitive Verarbeiten in BNDE-Situationen haben.
- Außerdem soll die Frage geklärt werden, welchen Einfluss Netzwerkcharakteristika auf Entscheidungen über die Datenpreisgabe im BNDE-Kontext haben.
- Aus praktischer Sicht soll die Forschung dazu beitragen, dass Konsumenten bessere Entscheidungen treffen können und zudem Firmen helfen, ihre BNDE-Netzwerke so zu gestalten, dass sie bei den Konsumenten auf Akzeptanz stoßen.